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Urlaub vor der Haustür

Christina Bauer hat schon mal den Rasen geschnitten. Dreieinhalb Hektar, das dauert Stunden, auch mit ihrem knatternden Sitzmäher. Die Frau in Jeans und Wolljacke will vorbereitet sein, wenn Deutschland wieder hochfährt. Seit Tagen lässt sie auf ihrem Campingplatz die Sanitäranlagen umbauen, jedes zweite Waschbecken wird entfernt, jede zweite Toilettentür verrammelt. Ihre Rezeption mit dem kleinen Kiosk wird derart umgezimmert, dass auch hier alle Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden können. Dieser Maimittwoch bringt einen Traumtag für den Campingplatz Rursee im Naturpark Eifel. Die Luft ist kristallklar, sattes Frühlingsgrün liegt auf den Bergen. Am Fuße des terrassierten Campinggeländes plätschert der Weidenbach. Nur wenige Dauercamper sind auf dem Platz, wie Monika und Reiner Danielzik, die gerade vor dem Caravan ihre Sonnen liegen mit bunten Auflagen drapieren. „Wir wollten dieses Jahr eigentlich in die Türkei“, sagt Monika Danielzik, „hatten schon gebucht.“ Aber Pustekuchen – erst Reisewarnung, dann Reiserücktritt und nun Rursee. Und Christina Bauer ahnt: Es wird 2020 voll auf ihrem Rasen. Denn wenn CoronaDeutschland fast ausschließlich im Inland entspannt, steht Camping weit oben auf der Prioritätenliste. Wer nicht so gern zeltet, kann auf vielen Plätzen auch feste Unterkünfte buchen: Hütten, Wohn – wagen oder, wie bei Christina Bauer, ein hölzernes CampingFass mit je zwei Bettplätzen. Der Urlaub 2020 wird anders – anders als geplant, anders als sonst. Irgendwo draußen, in der Natur, möglichst einsam. Infektionszahlen, Kurvendiagramme und dazu die Frage, wie und ob es mit der Arbeit weitergeht: Corona prägt alles, auch den Sommer. Noch bis einschließlich 14. Juni gilt eine weltweite Reisewarnung. Außenminister Heiko Maas hat vorsorglich gemahnt: Es werde keine erneute Rückholaktion für Coronabedingt gestrandete Bundesbürger geben. Erste Länder buhlen zwar bereits wieder um deutsche Touristen, doch die Vorstellung einer Fernreise wirkt auf die meisten Menschen befremdlich: Begrüßung mit der Fiebermesspistole? Und dann ab an einen Strand, an dem womöglich Plexiglaskabinen stehen und CoronaBeauftragte die Badezeit im Meer stoppen? Nein, danke. Denn auch wenn jetzt alle von „Hochfahren“ und „Lockerungen“ reden: Gegen die Ausbreitung des Virus hilft nur Vernunft. Also doch lieber Picknickdecke und ein kontaktloses Kaltgetränk, eine Woche in der Ferienwohnung, ein paar Tage im Hotel irgendwo zwischen Ahlbeck und Lörrach, Borkum und dem Fichtelberg, im Lieblingsreiseland der Deutschen: ihrem eigenen. Es gibt hierzulande schließlich unendlich viel zu entdecken: allein 16 Nationalparks – von Berchtesgaden bis zur Vorpommerschen Boddenlandschaft –, dazu die 46 Stätten der UnescoWelterbeliste – vom Trierer Dom bis zur Lübecker Altstadt. Und wie die „Neue Zürcher Zeitung“ einmal nachgerechnet hat, tragen ganze 97 deutsche Landschaften die Bezeichnung „Schweiz“ im Namen. Ohne Kneipen, Clubs und Kultur zieht es so bald keine Touristen in die Städte. 2020 wird der Sommer des Hinterlands. Hallo, Provinz! „Wir werden hier oben Besucherzahlen haben, wie wir sie noch nie hatten“, davon ist Patrick Dahlemann fest überzeugt. Hier oben, das ist MecklenburgVorpommern. Das am dünnsten besiedelte Bundesland mit seinen vielen Seen, Flüssen und der Ostseeküste scheint wie gemacht für diesen Sommer der Distanz. Dahlemann ist als parlamentarischer Staatssekretär der Landesregierung zuständig für Vorpommern. Wenn er nicht gerade zu Sonderkabinettsoder Taskforce-Sitzungen nach Schwerin muss, fährt der jugendlichalerte SPDMann kreuz und quer durch die ihm anvertraute Region und redet und hört zu. In gewisser Weise verbindet er dabei das Politische mit dem Praktischen. Denn zum einen hängt hier jeder fünfte Job am TourismusSektor. Und zum anderen ist es so: Eigentlich wollten er und seine Frau über Pfingsten nach Rhodos fliegen, natürlich haben sie storniert, es kann also nicht schaden, sich einmal vor der Haustür umzusehen. An diesem frühen Maimorgen hat der blaue Dienstwagen Dahlemann ins kleine Dörfchen Rieth gefahren, am Ufer des Stettiner Haffs, schräg unter Usedom, im östlichen Winkel Vorpommerns, dorthin, wo Marco Dorka und Dirk Bartelt vor nun schon 20 Jahren ihr „Traumhaff“ gefunden haben. Rund zwanzig individuelle Ferienhäuser vermieten sie hier, zwei davon schwimmen unten am Steg. Wie alle Gastronomen stehen die Betreiber vor einem komplexen Problem: Das Frühjahrsgeschäft ist ausgefallen. Jetzt können sie endlich wieder Gäste empfangen. Und müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass es nicht zu eng wird. Dorka und Bartelt haben darum ein Konzept für „kontaktlosen Tourismus“ entwickelt, vom Checkin bis zum Checkout. „Wir sind jederzeit über Whatsapp zu erreichen, aber kaum anzutreffen.“ Der Urlaub beginnt an der „kontaktlosen Rezeption“, einem schwarzen Briefkasten, aus dem Dahlemann nun einen kleinen beschrifteten Karton holt, in dem neben dem Hausschlüssel auch die Lagebeschreibung und eine Radwanderkarte der Region liegen. Brötchen und Gemüse aus dem Dorf gibt es auf Bestellung, online oder per Handzettel, die Lieferung erfolgt bis an die Türklinke. Zudem haben sie sogenannte Encasing-Sets beschafft, zusätzliche Bettbezüge, die zwischen Bettdecke und Bettwäsche für Keimfreiheit sorgen sollen. Alles muss hygienisch sein, und trotzdem darf sich kein Gast fühlen, als wäre er Patient in einem Hospital. „Hier, probieren Sie mal“, sagt Dorka und reicht eine Flasche Desinfektionsmittel. „Hab ein paar Tropfen Eau de Toilette hineingegeben. Riecht viel besser, oder?“ Die Betreiber haben sogar ein kurzes Erklärvideo zu ihrem Corona-Konzept gedreht, darüber, wie Urlaub „mit Abstand am schönsten“ wird, wie es im Untertitel heißt. Am Ende des Films sitzen beide Männer lächelnd auf der Treppe, Einblendung: „Schade, dass wir uns nicht kennengelernt haben.“ – „Hammer“, sagt Dahlemann nach der kurzen Vorführung, „das ist genau der Weg!“ Der Weg, der in eine weitere Öffnung führt. Im Moment kann es sich Mecklenburg-Vorpommern leisten. Im ganzen Bundesland gab es in der vergangenen Woche gerade mal 28 Neuinfektionen. Aber so soll es, bitte schön, bleiben. Darum wird zunächst nur für Landeskinder geöffnet; rechtzeitig zu Pfingsten dürfen auch Gäste aus dem Bundesgebiet wieder an den Strand und in die Betten. Allerdings dürfen vorerst nur 60 Prozent davon vermietet werden. Sicher ist sicher. Kontaktlos und keimfrei – es klingt wie der Slogan dieser Saison. Doch neben diesen physischen Faktoren spielten in diesen Wochen auch die psychologischen Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle, sagt die Tourismusforscherin Claudia Brözel von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde: „Viele Menschen sind in Kurzarbeit oder haben ihre Jobs verloren. Die sind mit ganz anderen Dingen beschäftigt und werden höchstens ein paar Tage im Grünen planen.“ Andere, so Brözel, hätten während der Zeit des Lockdowns gespürt, wie durchgetaktet und hektisch ihr normales Alltagsleben verlaufe. Auf „organisierten Tourismus mit Rundumversorgung“, der hierzulande zudem oft sehr teuer ist, hätten diese Menschen gerade wenig Lust. Die Forscherin erwartet stattdessen, dass es „vor allem Individualtourismus in der näheren Umgebung geben wird, nach dem Motto: Erkunden, was möglich ist.“ Man müsse nur etwas mehr Eigeninitiative zeigen und sich umschauen (siehe auch Tipps S. 34). „Profitieren werden alternative Unterkünfte und kleinere Anbieter, die flexibel auf die Krise reagieren und die digital gut aufgestellt sind.“ Man muss eben auch gefunden werden können, hinter den sieben Bergen – und im Internet. Zum Glück gibt es zahlreiche dieser Anbieter, vor allem weit draußen, auf dem Land, wo Wind und Weite in Sekundenschnelle jedes Aerosol zerstäuben. Und auf Abenteuer und Exotik muss auch in den deutschen Naherholungsgebieten niemand verzichten. Waren Sie mal am Rothaarsteig im Sauerland, wo Wisente leben? Oder zwischen Delitzsch und Bitterfeld, wo im ehemaligen Tagebaugebiet die „Goitzsche Wildnis“ herangewachsen ist? Sind an der Zipline hängend eine Harzer Talsperre hinabgebrettert oder auf der Schwäbischen Alb durch Kalksteinhöhlen geklettert, Fossilienklopfen inklusive? In diesem Sommer gilt auch hierzulande das bewährte MallorcaPrinzip: An den Hotspots mögen sich Touristen mit SelfieStöcken duellieren – aber im Hinterland, in zweiter, dritter Reihe gibt es traumhaft schöne Ecken. Direkt an den Küsten und auf den Inseln sind die Preise zum Teil bereits drastisch gestiegen. Aber sollen die Hamburger doch ruhig auf Sylt Tennis spielen – das Land der Friesen ist groß. Von Klanxbüll im Norden bis Krummhörn im Westen: Deiche, Himmel, Wasser und dazwischen keine nennenswerten Highlights, die man verpassen könnte. Denn die Attraktion liegt jenseits des Festlands: im Wattenmeer. Bei der Nordsee geht es gerade nicht ums Baden und Inder-SonneLiegen. Sondern ums Schuheausziehen und Durchatmen. Auf dem grasbegrünten Deich bei Otterndorf westlich der Elbmündung stehen die bunten Strandkabinen bereits im vorbildlichen Abstand von vier Metern. Dazu ein paar schwere Holztische und Bänke – unverrückbar. In der „Freibeuter Strandbar“ ist Inhaber Ole Fredebohm ebenfalls schon bestens vorbereitet: Eine Plexiglasscheibe schützt den Tresen, auf dem Fußboden sorgen schwarzgelbe Klebestreifen für Distanz. Nur die Gäste fehlen noch. „Eigentlich wäre hier schon seit Mitte April Halligalli“, sagt der Gastronom und Ferienhausvermieter. Wobei „Halligalli“ hier am Wiesendeich vermutlich auch ohne Corona etwas anderes bedeutet als an der Playa de Palma. Nicht weit vom Deich entfernt liegt das Gehöft von Ute Mushardt. Die 56Jährige ist die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft „Urlaub auf dem Bauernhof“ – und gerade wegen der Corona-Probleme überaus zuversichtlich. Zumindest für den Teil der Branche, der ihr am Herzen liegt. „Auf dem Land haben wir ideale Bedingungen für Social Distancing“, sagt sie. „Abstand halten funktioniert bei uns automatisch.“ Natürlich gebe es in diesem Jahr Auflagen. Hygieneschulungen, keine großen Veranstaltungen auf der Diele, kein gemeinsames Eiersuchen im Hühnerstall sowie ein Mindestaufenthalt von sieben Tagen, um die Besucherketten nachvollziehen zu können. Aber, davon ist Frau Mushardt überzeugt: „Dieses Virus macht etwas mit den Menschen. Wir hinterfragen unsere Bedürfnisse. Und sehnen uns nach Gesundheit und Frische.“ All das sei eine Chance dafür, dass in diesem Jahr mehr Urlauber den ländlichen Raum entdeckten sowie die nachhaltige Landwirtschaft, die bei ihr und vielen anderen Anbietern zum Konzept gehört. „Urlaub auf dem Bauernhof ist Spaß und Wertevermittlung“, sagt sie. Die Gäste erholen sich und lernen viel nebenbei über Anbau, Regionalität und Umweltschutz. Die zertifizierten Ferienhöfe der Arbeitsgemeinschaft halten in ganz Deutschland 140 000 Gästebetten in abgetrennten Ferienwohnungen bereit. „Ob Berge oder Küste – man findet was“, verspricht Ute Mushardt. Und fügt hinzu, dass Höfe außerhalb der TourismusDes- tinationen oft besonders reizvoll seien: „Die gleichen den Standort durch besondere Freizeitangebote aus.“ Frau Mushardt ist eine leidenschaftliche Landvermieterin. Binnen wenigen Minuten führt das Gespräch weg vom Virus, hin zu Fruchtfolge, Mutterkuhherden und Salzwiesen. Ein Kätzchen rekelt sich auf der Terrasse, und am Horizont leuchtet knallgelb der Raps. Man stellt sich schon vor, wie das wäre, abends gemütlich vor einem ihrer schwedenroten Holzhäuschen zu sitzen und einfach nur den Rehen beim Äsen zuzusehen. „Corona bringt uns alle zum Nachdenken“, sagt sie. „Das hat vielleicht auch sein Gutes.“ Es beginnt schon bei der Anreise, die komplett virenfrei im eigenen Pkw erfolgen kann. Anders als im vorigen Jahr, in dem die Deutschen, gänzlich flugschamlos, so viel gejettet sind wie nie zuvor. In diesem Sommer könnte man zur Abwechslung auch aufs Fahrrad steigen und nebenbei an Karma, Klima-und Kalorienbilanz arbeiten. Der Radwanderweg Berlin–Hameln etwa verbindet auf einer Gesamtstrecke von 400 Kilometern das Weserbergland mit dem Potsdamer Havelgebiet, quert dabei das Leinebergland, die Hildesheimer Börde, die Schöppenstedter Mulde, die Elbauen, den Fläming und die Zauche – und kommt dabei ohne nennenswerte Anstiege aus. Wie wäre es mit einem Kurzurlaub in Brandenburgs Ruppiner Schweiz, über die Fontane schon dichtete, sie habe „an jeder Stelle gleichen Reiz“? Oder im Hainich, dem uralten Buchenwald zwischen Thüringen und Nordhessen? Wenn es an den Highlights des Elbsandsteingebirges zu eng wird, gibt es ja noch die Lausitz und die nicht minder spektakulären Felsformationen um Zittau. Und wer im Wendland schon „Overtourism“ feststellen sollte, fährt weiter in die Altmark. Schließlich sind es die noch wenig entdeckten Regionen wie jene im Norden SachsenAnhalts, die in diesem Jahr endlich mal einen Standortvorteil zu bieten haben: wenig Menschen, nüscht wie Gegend. 4 „Wir haben hier weites, unverbautes Land“, sagt Charlotte Schulz vom Altmärkischen Regionalmarketing. „Aber auch viel Abwechslung: historische Städte, Burgen, Gärten.“ Selbst wenn man es bisher nur bis an den Arendsee geschafft hat, dem bekanntesten Ziel der Gegend, ahnt man, wie recht sie hat. Salzwedel, Heimat des Baumkuchens, wegen seiner vielen Brücken auch „KleinVenedig des Nordens“ genannt. Oder die Hansestadt Tangermünde mit ihrem malerischen Hafen. Stendal. Die Gierseilfähren über die Elbe, eine Tradition seit dem 17. Jahrhundert. Weil es kaum Wirtschaft zu fördern gibt, wurde in den vergangenen Jahren das touristische Angebot ausgebaut und modernisiert: Kanutouren, Radwandern für jeden Fitnessgrad, Picknick am naturbelassenen Elbufer. „Und kennen Sie schon unser Kuhschwanzbier?“, fragt Charlotte Schulz zum Abschied. Eben! Weintrinken zwischen Mosel und Saar, Wasserwandern auf dem Main in Franken, und auch diejenigen, die es gern luxuriös und komfortabel haben, werden bei deutschen Landhoteliers fündig. Das Wasser im Pool des Seehotels Wiesler am Titisee ist wohltemperiert, 26 Grad. Die Solarkollektoren auf dem Dach „heizen derzeit wie der Teufel“, erklärt KlausGünther Wiesler, 59, der Chef des Familienbetriebs. Wenn es nach ihm ginge, könnten die Gäste schon morgen wieder ihre Bahnen ziehen, mit Blick auf Schwarzwaldtannen und den Titisee. Aber in BadenWürttemberg müssen Hotels noch bis zum 28. Mai geschlossen bleiben. Unter welchen HygieneAuflagen Wiesler sein Viersternehaus öffnen darf, ist noch nicht in allen Details geklärt. Schwimmen auf Distanz – in den Pools sei das kein Problem. „Auf der einen Beckenseite hoch, auf der anderen runter.“ Aber was ist mit der Saunalandschaft und dem Whirlpool? Wiesler, der zugleich Küchenchef ist, sorgt sich vor allem ums Restaurant. Er läuft mit dem Hausmeister durch das Hotel und spielt die Möglichkeiten durch: Tische und Stühle auf Abstand rücken, die Speisekarte aufs Smartphone des Gasts, und das Fünfgangmenü wird verkleinert. Denn fünf Gänge hieße, dass die Kellner mindestens zwölfmal an den Tisch kommen müssten. Dazu: täglich Fieber messen, Handschuhe und Mundschutz tragen. So sollte es funktionieren, irgendwie. Aber Wiesler treibt eine Frage um, wie wohl viele Hoteliers: Wo bleiben Lust und Leichtigkeit? So viel lässt sich bereits jetzt über den kommenden Sommer sagen: Gesellig wird er nicht. Spazieren gehen, wandern, Landschaften entdecken, am Fluss sitzen, das Draußensein genießen. Dieser Urlaub wird eher wie ein Gedicht von Joseph von Eichendorff. Still. „Wir sind in einer ReiseWelt angekommen, die wir im Sinne der Nachhaltigkeit schon lange vertreten“, sagt Regine Gwinner von „Fairkehr“, einer Agentur für alternativen und umweltfreundlichen Tourismus. Gwinner empfiehlt: nicht über Beschränkungen lamentieren, sondern den Reiz des Ungewohnten erspüren. „Einfach mal drauf einlassen und nicht lange planen. Ich wette, dass jeder in seiner Umgebung etwas findet, das er noch nicht kennt.“ Vielleicht hat Gwinner recht, vielleicht biegen wir einfach mal ab, an einer dieser braunen „touristischen Unterrichtungstafeln“, die zu Hunderten längs der Autobahnen in hinreißenden Superlativen auf oft weltunbekannte Attraktionen hinweisen. Auf historische Ortskerne, Schlösser, Burgen, Parks oder die älteste linksdrehende Bockwindmühle nördlich des Mains – es könnte sie zumindest geben. Und vielleicht wird sie in diesem Sommer noch entdeckt.

1. Das Weite suchen
Wo in einer Großstadt wie Hamburg das Weite finden? Elbe und Alster sind selbst in diesen Zeiten überlaufen. Die Fischbeker Heide im Südwesten der Stadt aber lässt jede Menge Platz zum Durchatmen. Mit einer Fläche von fast acht Quadratkilometern ist sie Hamburgs drittgrößtes Naturschutzgebiet. Besonders eindrucksvoll zeigt sie sich zur Blütezeit der Besenheide im August, wenn dieser Mikrokosmos ganz in Pink-und Lilatönen leuchtet. Aber auch zu anderen Zeiten ist die Heide ein stiller Ort für ausgedehnte Spaziergänge und Naturbeobachtungen. Auch Mountainbiking ist hier möglich. www.fischbekerheide.de

2. Ganz in Ruhe
Es sind zwar nicht die Fjorde Norwegens und auch nicht die Gewässer Kanadas, aber beim Kanufahren auf dem Schaalsee kann man durchaus einmal vergessen, dass man sich an der Grenze von SchleswigHolstein und MecklenburgVorpommern befindet. Vogelgeschrei ab und an, das Geräusch des Paddels im Wasser – mehr nicht. So ruhig liegt der See, dass die nahe Zivilisation in weite Ferne rückt. www.schaalseeinfo.de

3. Wind und Wellen
Im Norden der Insel Rügen liegt das etwas verschlafene Dorf Wiek, das sich um eine der größten Hallenkirchen der Insel gruppiert. Sein Kapital ist der Bodden – zum genüsslichen Baden etwas zu matschig, aber zum Kiten ideal, denn es weht fast immer ein guter Wind. Wer es lieber beschaulich mag, kann sich ein SUPBoard ausleihen. Zum Baden geht es an den rauen Weststrand nördlich von Dranske und zum Spazieren an die zwölf Kilometer entfernten Klippen von Kap Arkona. Noch mehr Insel erleben Besucher, wenn sie mit der Fähre nach Hiddensee übersetzen. www.surfkite.camp.de

4. 66 Seen Zugegeben:
Ein Bergpanorama hat Berlin nicht zu bieten. Dafür ist die Hauptstadt eingebettet in eine Landschaft, die von der Eiszeit sehr wanderfreundlich gestaltet wurde: gut abgehobeltes Flachland, dekorativ durchzogen von funkelndem Wasser. Die 66Seen-Wanderung fädelt einige der schönsten Gewässer wie Perlen auf die Wegstrecke. Auf insgesamt etwa 400 Kilometern kann man die Hauptstadt nach und nach umrunden. Und am Ende jeder Etappe wieder zügig mit Bus, Regionaloder SBahn nach Hause. Badesachen nicht vergessen. www.reiselandbrandenburg.de

5. Gute Gene
Wenn man durch die Straßen von Werder an der Havel geht, könnte man denken, diese Stadt sei das gemeinsame Kind von Potsdam und Berlin. Werder hat das Hübsche von Potsdam mit seinen wohlfrisierten Fassaden. Zugleich gibt es auch Ecken, die an Berlin erinnern: Laut und rau ist es dort, und natürlich herrscht normalerweise Feierlaune. Bierflasche auf, Prost! Und dann sind da die Seen. Werder wird umsäumt von Wasser, hier kann man prima abtauchen, falls einem Potsdam zu schick und Berlin zu prollig sein sollte. www.werderhavel.de

6. Alles am Fluss
Das Radfahren entlang von Wasserläufen hat einen großen Vorteil: Es gibt kaum Steigungen. Während die Touren an Elbe, Donau und Weser sehr populär sind, begegnet man auf dem OderNeiße-Radweg oft stundenlang keiner Menschenseele. Besonders lohnend für eine Mehrtagestour ist der Abschnitt vom sächsischen Zittau bis ins brandenburgische Küstrin (318 Kilometer). Highlights: die idyllische Flusslandschaft im Grenzland zu Polen, die Altstadt von Görlitz, der Landschaftspark Bad Muskau. www.oderneisseradweg.de

7. Kunstwerke der Natur
Auch wenn die Museen jetzt wieder öffnen – im Freien kann man jederzeit beeindruckende Felsformationen, die an Skulpturen erinnern, betrachten. Etwa in der Fränkischen Schweiz. Allein um die Orte Pottenstein und Gößweinstein verteilen sich 164 solcher Felsen in der Landschaft. Teils direkt an beschilderten Wanderwegen, teils versteckt und verborgen in Wald und Gebüsch. Sportlich Veranlagte erklettern die Türme aus Kalk und Dolomit auf unterschiedlich schweren Routen. www.fraenkischeschweiz.com

8. Wie das duftet!
Sie müssen ihn einmal gerochen haben, diesen Duft der Hallertau. Wenn die Dolden im Sommer ganz dick in den Hopfengärten hängen, pflücken Sie eine, schauen Sie vorsichtig zwischen ihre Blätter und schnuppern. Leicht bitter, würzig, einzigartig, sie wird bald einem Bier seinen Charakter geben. Am besten entdecken Sie dieses nicht ganz so bekannte Stück Bayern entlang des AbensRadwegs, der 73 Kilometer von Freising durchs Hügelland nach Bad Gögging führt. Gönnen Sie sich ein Mittagessen im SchlossBiergarten in Ratzenhofen (Bayern öffnet Ende Mai die Gastronomie); steigen Sie auf den „Hopfenhimmel“, eine Aussichtsplattform; und genießen Sie in Abensberg eine „Alte Liebe“ von der WeißbierBrauerei Kuchlbauer. O ja, die hat Charakter. www.radtourenchef.de

9. Hoch hinaus
Verwunschen und sagenumwoben gehört der Mummelsee zu den schönsten Orten an der Schwarzwaldhochstraße. Nach einem Bad geht es auf die nahe Hornisgrinde, mit 1163 Metern der höchste Berg des Nordschwarzwalds. Unter Nadelbäumen und durch ein Hochmoor wandern Besucher in die Höhe. Auf dem Gipfel haben Sie einen großartigen Blick auf den Schwarzwald. www.mummelsee.de

10. Land mit Weitblick
Warum ist die Rhön so schön? Östlich von Fulda ist sie mit dem Hochrhöner gesegnet, einem tollen Wanderweg. Der dünn besiedelte Landstrich steht größtenteils unter dem Schutz der Unesco, bei gutem Wetter kann man Dutzende Kilometer weit gucken. Hier gedeiht, was sonst selten wächst: Echte Betonie auf Goldhaferwiesen, Besenheide und Blutwurz auf Borstgrasrasen. Bestes Bier bekommt man auf dem Kreuzberg, darauf auch noch ein Kloster thront. Wanderer, was willst du mehr? www.rhoen.de

11. Zwischen Wald und Wisent
Das Sauerland hat es namensmäßig nicht so leicht. Klingt immer ein bisschen nach schlechter Laune. Dabei ist die Region ein Paradies für Wanderer: Über 154 Kilometer verläuft der Rothaarsteig auf Bergkämmen, durch Wiesentäler und Laubwälder. Erwandern kann man ihn in sechs, acht oder zwölf Etappen. Dazu gibt es Ausflüge rechts und links des Weges zu frei laufenden Wisenten, Waldskulpturwegen, Höhlen, Flussquellen und dem KyrillPfad. Der zeigt anschaulich, wie der Wald sich nach einem einschneidenden Sturm wieder erholt. Wohnen kann man etwa in Schmallenberg in DesignHolzhäuschen auf einer Bergwiese (www.liebesgruen.de). Karten, Audioguides und Tipps, wie man sich verhält, wenn ein Wisent vor einem steht: www.rothaarsteig.de

12. Wasser marsch!
Wo brauchte man einst Unmengen von Wasser, um Wasser wieder loszuwerden? Im Harz. Dort suchte man ab dem 16. Jahrhundert einen Weg, um das beim Bergbau einsickernde Nass wieder an die Oberfläche zu bekommen. Die Lösung war ein weitverzweigtes Speichersystem, um Wasserräder anzutreiben, die wiederum Pumpen betrieben. So entstand die „Oberharzer Wasserwirtschaft“, die heute zum UnescoWelt- kulturerbe zählt. Wer sich von ClausthalZeller- feld aus zu Fuß oder mit dem Rad auf die Spuren der Geschichte macht, durchstreift auf 200 Quadratkilometern eine wunderschöne Kulturlandschaft aus Teichen, Gräben, Wäldern und Wiesen. Möglicher Startpunkt: von der Pixhaier Mühle in ClausthalZellerfeld in Richtung Buntenbock. www.harzinfo.de

13. Unter Dach und Fach
Durch eines der prächtigen Hoftore zu fahren ist wie in ein früheres Jahrhundert einzutauchen: Mehr als 300 denkmalgeschützte Bauernhäuser reihen sich auf der 145 Kilometer langen ArtlandRad-Tour um Quakenbrück aneinander. Nirgendwo in Europa gibt es mehr historische Fachwerkgebäude als in der Region im südlichen Niedersachsen. Wo einst Erntewagen über das Pflaster klapperten, kann man heute in Cafés und Restaurants verweilen. Ambitionierte Radler schaffen die Tour in zwei Tagen. Weil es auf der Strecke kaum Steigungen gibt, eignet sie sich auch für einen Ausflug mit Kindern. www.osnabrueckerland.de

14. Glück an der Förde
Sie haben so schöne Namen wie Solitüde, Wassersleben und Sandwig. Schon einen Nachmittag an einem der Strände rund um die Flensburger Innenförde zu verbringen, zu baden oder zu träumen fühlt sich an wie eine Woche Urlaub. Wer einmal dort gewesen ist, wundert sich nicht mehr, dass die SchleswigHolsteiner die glücklichsten Deutschen sind. Laut Glücksatlas, also richtig erforscht. Und wer abends dann noch eine fangfrische Kutterscholle mit Petersilienkartoffeln und Gurkensalat isst, fühlt sich genauso glücklich wie die Einheimischen. www.flensburgerfoerde.de

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